Märkische Allgemeine Zeitung 01.03.06
JOSEF DRABEK
Am südwestlichen Ende des Ortsteils Seehof, begrenzt von Lichterfelder
Allee, Zehnruthengraben und Osdorfer Straße, steht der Komplex des
Evangelischen Diakonissenhauses Berlin-Teltow. Seine Geschichte reicht bis 1841
zurück, als der "Verein zur Besserung weiblicher Gefangener" in
Berlin ein Aufnahmeheim für strafentlassene junge Frauen eröffnete: das "Magdalenenstift".
Idee und Name dieser seelsorglich-erziehenden Einrichtung gehen auf die Büßerin
Maria Magdalena zurück, die durch Jesus Heilung und Hilfe erfuhr.
Mit königlicher Unterstützung erhielt das Stift 1843 ein
eigenes Haus und bezog 1867 neue Gebäude in Plötzensee. 1876 schlossen sich die
Erzieherinnen zu einer Schwesternschaft zusammen, welche die Kaiserswerther
Diakonissenordnung übernommen hatte. Eine der Schwestern eröffnete 1881 in
Pankow eine Filiale, in der erziehungsgefährdete Kinder und Jugendliche betreut
wurden. 1885 erfolgte die offizielle Anerkennung als milde Stiftung, die
sozialen Dienst an betroffenen Frauen und deren Kindern leistet.
Als von Plötzensee weggezogen werden musste, erwarb man
im Juni 1900 "nahe bei Teltow an dem dortigen See" ein Grundstück von
14 Morgen. Auf diesem Gelände wurden in nur einem Jahr Gebäude für etwa 100
Zöglinge und 20 Schwestern gebaut. Ende Juli rollten die Umzugskremser und am
24. September 1901 fand die feierliche Einweihung des neu erstandenen Magdalenenstiftes
Berlin statt.
Anfängliche Spannungen und Auseinandersetzungen über Wege
und Mittel der Erziehung von Kindern und Jugendlichen sowie die rechte
Zuordnung von geistlichem Handeln und fachlichem Können konnten bald überwunden
werden. Nach Geländezukäufen, baulichen Veränderungen und Erweiterungen wuchs
die Anstaltsbewohnerschaft auf 202 Personen und erhielt 1906 den Status einer
selbstständigen Kirchengemeinde. 1912 wurde das Stift in "Evangelisches
Diakonissenhaus Berlin-Teltow" umbenannt.
Das "Frauenseminar für
Erziehungsarbeit und Jugendpflege" wurde ab 1923 als
Fürsorgerinnen-Seminar weitergeführt, bis es die Nationalsozialisten 1933
schlossen. Im gleichen Jahr konnte eine staatlich anerkannte
Kinderpflegerinnen- und Haushaltsschule eröffnet werden, die 1938 ihre Arbeit
beenden musste. Zum Programm kamen Lehrkochen, Gymnastik, Leibesübungen und
kreative Gestaltung hinzu.
Im Zweiten Weltkrieg wurde das 1927 eingeweihte
Krankenhaus Lazarett. Bombenabwürfe zerstörten sein Dach, trafen Mutterhaus und
Kapelle, Sonnenhof-Wohnhaus, Scheune und Stall. Täglich mussten an die 500
Hilfsbedürftige versorgt werden. Nach Kriegsende wurde es Hilfskrankenhaus,
betrieb die Entbindungsstation weiter, nahm tuberkulös gefährdete Kinder auf
und versorgte Patienten aus Teltow und Umgebung. Die als "Diako"
bekannte Einrichtung entwickelte sich zu einem anerkannten internistischen
Fachkrankenhaus, das seine Arbeit als Innere Abteilung des Evangelischen
Krankenhauses Ludwigsfelde-Teltow schließlich nach 2002 fortführen konnte.
Neue Kräfte waren durch die Vereinigung mit dem
Diakonissenmutterhaus Bethanien aus Kreuzburg in Oberschlesien erwachsen. Die
vertriebenen Schwestern hatten nach schmerzlicher Odyssee 1948 in Teltow eine
neue Heimstatt gefunden. Ihr Erbe in Gestalt von Gemeindediakonie, Kinder- und
Krankenpflege floss in die Arbeit ein.
Seit 1946 gab es biblisch-diakonische Kurse zur
Berufsfindung junger Mädchen, 1956 begannen Ausbildungen in Wirtschaftdiakonie,
1964 wurde ein Seminar für Heilerziehungspflege ins Leben gerufen. Zum
Hauptarbeitszweig entwickelte sich die Pflege und Förderung von Menschen mit
geistiger Behinderung. In diesem Rahmen kam es 1972 zur Eröffnung einer Sondertagesstätte
und Einrichtung spezieller Werk- und Wohnstätten.
Nach der Wende waren Strukturen anzupassen,
Modernisierungen und bauliche Veränderungen durchzuführen. Aus der
Sondertagesstätte für geistig behinderte Kinder ging die Förderschule
Hans-Christian-Andersen hervor. Die Integrationskindertagesstätte sowie die
Frühförder- und Beratungsstelle für Eltern und Kinder sind die einzigen ihrer
Art im Landkreis. Die Altenhilfe betreibt Senioren- und Altenpflegeheime sowie
Häuser für altersgerechtes Wohnen. Die Ausbildungstradition der Wirtschafts-
und Heilerziehungsdiakonie setzt sich in der Berufsfachschule für
sozial-pflegerische Berufe und der staatlich anerkannten
Dietrich-Bonhoeffer-Fachschule für Sozialwesen fort.
Vor zwei Jahren erfolgte die Vereinigung mit dem Luise-Henrietten-Stift
Lehnin zur Stiftung "Evangelisches Diakonissenhaus Berlin-Teltow-Lehnin"
mit nunmehr 2000 Mitarbeitern in Berlin und Brandenburg. Sie blicken auf eine
lange Tradition zurück: Das Mutterhaus hat seit 105 Jahren seinen Sitz in
Teltow. Die Schwesternschaft begeht ihr 130-jähriges Bestehen. Ihr Wirken
verkörpert 165 Jahre praktisches Christentum. Angesichts dieser Jubiläen gilt
der Hausspruch aus dem Prophetenbuch Haggai mehr denn je: "Ich will dies
Haus voll Herrlichkeit machen."
Die MAZ-Serie "100 Jahre Teltowkanal" steht im
Internet unter www.MaerkischeAllgemeine.de/teltowkanal
(Potsdam-Mittelmark)