Märkische Allgemeine Zeitung 25.02.06
PETER HAHN
Wenn jemand einen Idioten sehen will, dann gehe er zum
Fliegeberg in Lichterfelde. Dort will der Lilienthal fliegen. So spottete die
Berliner Zeitung über einen Menschen, der davon überzeugt war, dass "die
Nachahmung des Segelflugs auch dem Menschen möglich sein muss". Dass der
realitätsnahe Inhaber der "Dampfkessel- und Maschinenfabrik" seinen
Arbeitern bereits 1890 neben einem Achtstundentag auch eine Beteiligung von 25
Prozent des Reingewinns zubilligte, spielte gar keine Rolle.
Schon als Junge machte sich Otto Lilienthal mit seinem
Bruder nachts zum Kugelfang des Anklamer Schießplatzes auf, um von der Anhöhe
mit weit ausgebreiteten Armen dem Wind entgegenzulaufen. Ständig hielt er
Ausschau nach einem geeigneten Terrain für seine Flugversuche: Auf dem Gollenberg
bei Stölln, dem Mühlenberg bei Derwitz oder in den Rhinower Bergen bei Neustadt
an der Dosse war ein Start bei jeder Windrichtung möglich, aber auch im
Altkreis Teltow auf der Maihöhe und in den Rauhen Bergen an der Steglitzer
Bergstraße.
Als ihm sein Bruder, der Architekt Gustav Lilienthal, auf
einem 2500 Quadratmeter großen Grundstück in der Lichterfelder Boothstraße 17
eine burgenähnliche Landhausvilla mit Türmchen und Zinnen gebaut hatte, blieb
er dennoch nicht auf dem Boden.
Nicht weit davon, zwischen Bäke- und Eugen-Kleine-Brücke,
hatte er sich 1894 an der Schütte-Lanz-Straße aus dem Bruch der nahen Ziegelei
einen 15 Meter hohen Hügel aufschütten lassen: der Fliegeberg. Dem setzte der
Architekt Fritz Freymüller am 10. August 1932 mit einem Monument die Krone auf.
Seither gibt es in der Nähe des Teltowkanal-Kilometers Tek km 17,40 eine
offizielle Lilienthal-Gedenkstätte, die von den Berlinern inoffiziell
"Spirituskocher" genannt wird.
46 Jahre zuvor war Otto Lilienthal verstorben. Am 9. August 1896 hatte er
mit seinem "Normalsegelapparat" wieder einmal Flugversuche in den
Rhinower Bergen absolviert. Plötzlich konnte er eine thermische Ablösung nicht
mehr aussteuern.
Aus fünfzehn Metern Höhe stürzte er ab, brach sich das Genick und verstarb
wenige Stunden nach Ankunft in der Berliner Bergmannschen Klinik am 10. August
1896. Beigesetzt wurde er am 14. August 1896 auf dem Alten Friedhof in
Lichterfelde. Das Land Berlin bewilligte ein Ehrengrab und der
"Reichsflugverein" ehrte den Flugpionier noch vor dem Ersten
Weltkrieg mit der Bronzeskulptur "Ikarus" von Peter Breuer an der Bäkebrücke.
Aufgrund einer "Sonnenbö", heißt es über die Absturzursache. Experten
sprechen von überzogener Trimmung. Der Vorgang erinnert sehr an die Flucht von
Ikarus und Daidalos, der sich ein Gestänge ausdachte, an das er Federn mit
Wachs befestigte. Vor dem Start schärfte Daidalos seinem Sohn ein, nicht zu
hoch und nicht zu tief zu fliegen, da sonst die Feuchte des Meeres
beziehungsweise die Hitze der Sonne zum Absturz führen würden. Über Samos und Delos
aber wurde Ikarus übermütig und stieg so hoch hinauf, dass die Sonne das Wachs
seiner Flügel schmolz, die Federn sich lösten und er ins Meer stürzte.
Lilienthal kannte die alte Geschichte: "Eine Flugmaschine zu erfinden
bedeutet nichts; sie zu bauen bedeutet nicht viel; sie zu fliegen alles! Auf
den Photographien, wo Sie mich hoch in der Luft dahinfliegen sehen, macht es
den Eindruck, als wäre das Problem schon gelöst. Das ist durchaus nicht der
Fall. Ich muss bekennen, dass es noch sehr vieler Arbeit bedarf, um dieses
einfache Segeln in den dauerhaften Flug des Menschen zu verwandeln. Das bisher
Erreichte ist für den Flug des Menschen nichts anderes, als die ersten unsicheren
Kinderschritte für den Gang des Mannes bedeuten."
Vom Schritt zum Sprung, vom Sprung zum Flug. Daraus wurde schließlich der
erfolgreiche Gleitflug. Bis es jedoch so weit war, hatte Lilienthal 21
Flugapparate gebaut. Sein "Normalsegelapparat" wurde 1894 das erste
Serienflugzeug der Welt.
25 Patente sind unter seinem Namen registriert, darunter die gemeinsam mit
seinem Bruder Gustav erdachten Mineralbausteine aus Quarzsand, pulversiertem
Kalk und Leinölfirnis. Das Rezept für die Herstellung der stabilen
Spielbausteine verkauften sie. Der Unternehmer Friedrich Ad. Richter aus
Rudolstadt brachte sie mit dem "Anker-Steinbaukasten" zu Weltruhm.
Der Flughafen Tegel und ein Airbus der Deutschen Luftwaffe tragen inzwischen
den Beinamen "Otto Lilienthal". Das ist nett und auch anerkennend
gedacht, aber draußen in der Welt firmiert der eine unter TXL und der andere
unter 10+24.
Seinen Fliegeplätzen geht es ähnlich. Sie sind da, aber sie gehören zu den
stillen und vergessenen Orten im Lande. Der Derwitzer Hügel an der Bahnstrecke
zwischen Werder und Groß Kreuz gehört ebenso dazu wie der Fliegeberg am
Teltowkanal.
Die MAZ-Serie "100 Jahre Teltowkanal" steht im Internet unter
www.MaerkischeAllgemeine.de/teltowkanal
(Potsdam-Mittelmark)