Märkische Allgemeine Zeitung 04.02.06
Insel
vor der Insel
Tek km 02,40: Steinstücken / "100 Jahre
Teltowkanal" (Teil 20)
Gabriele Leech-Anspach
lebt seit den zwanziger Jahren in Steinstücken. Den Anfang, als das nahe Dorf
Stolpe 12,67 Hektar Land erwarb, auf dem sich 1817 eine Kolonie unter dem Namen
Steinstücken ansiedelte, kennt sie aus den Geschichtsbüchern. Als sie geboren
wurde, gehörte dieser Flecken schon zur Landgemeinde Wannsee und mit der
Bildung von Groß-Berlin 1920 zum Bezirk Zehlendorf. Geblieben ist die
"Insel vor der Insel", über deren Geschichte und Bewohner die Autorin
Barbara Glaubitz einen aufschlussreichen Film gemacht hat.
Steinstücken gehört zu Berlin, liegt aber außerhalb des
Stadtgebiets in der Mark Brandenburg. Bis 1945 gab es keine Probleme. Diese
entstanden erst mit der Aufteilung des Berliner Stadtgebiets in vier
Besatzungssektoren. Die Enklave lag in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ),
seine 200 Einwohner wurden vom Bezirk Zehlendorf "verwaltet", der zum
amerikanischen Sektor gehörte und somit dem Viermächtestatus unterlag.
Einige Jahre ging das einigermaßen gut, bis am 18.
Oktober 1951 die Volkspolizei mit Billigung der "Sowjetischen
Kontrollkommission" (SKK) Steinstücken besetzte und die DDR die
Eingemeindung in das Stadtgebiet von Potsdam verkündete. Da dies letztendlich
eine Okkupation bedeutete, protestierten die USA. Vier Tage später erfolgte
Widerruf und Rückzug der Volkspolizei.
Von nun an lebten die Leute in Angst. Das Leben mit der
Insel vor der Insel war zugleich belastend und entlastend. Die Leute hatten
eine Umwallung, die nach innen zusammenhielt und nach außen abschirmte, sie
hatten einen Ort, an dem sich die geplagte Gesellschaft zusammenraufte und sie
hatten das gemeinsame Los, welches das Verbindende schaffte.
Nach dem 27. Mai 1952 errichtete die
DDR erste Sperranlagen, nach dem 13. August eine komplette Umzäunung. Ein
freier Zugang war nicht mehr möglich. Der Weg zwischen Steinstücken und Kohlhasenbrück
lag auf dem Territorium der DDR, die wenig später festlegte, dass Bewohner und
Besucher nur mit einer polizeilichen Anmeldung des zuständigen Polizeireviers
162 in Wannsee einreisen könnten. Die westlichen Alliierten erhoben Protest und
stationierten - mehr oder weniger symbolisch - drei US-Soldaten vor Ort.
Westberlin war mächtig stolz auf seine Amerikaner, weil
die Rechte der Schutzmacht damit nachhaltig demonstriert wurden. Die Alliierten
bekamen ihren unkontrollierten Zugang, Deutsche, ob Westberliner oder
Bundesbürger bekamen den Transit durch die DDR.
Mit dem "Viermächte-Abkommen vom 3. September
1971" erklärte die Regierung der Union der Sozialistischen
Sowjetrepubliken im Teil 2 C, "dass die Kommunikationen zwischen den
Westsektoren Berlins und Gebieten, die an diese Sektoren grenzen, sowie
denjenigen Gebieten der Deutschen Demokratischen Republik, die nicht an diese
Sektoren grenzen, verbessert werden. Die Probleme der kleinen Enklaven
einschließlich Steinstückens und anderer kleiner Gebiete können durch
Gebietsaustausch gelöst werden. Konkrete Regelungen, die Reisen,
Kommunikationen und Gebietsaustausch betreffen, werden zwischen den zuständigen
deutschen Behörden vereinbart".
Verhandlungen zwischen dem Senat von West-Berlin und der
Regierung der DDR führten am 3. Juni 1972 zu einer Vereinbarung über einen
Gebietsaustausch von 15,6 Hektar für die DDR und 17,1 Hektar für West-Berlin.
"Da eine völlige flächen- und wertmäßige Gleichheit der auszutauschenden
Gebiete insgesamt nicht gegeben ist, wird der Senat an die Regierung der DDR
einen Wertausgleich in Höhe von 4 Millionen DM zahlen. Die Zahlung erfolgt
innerhalb von 2 Wochen nach vollzogenem Gebietsaustausch."
Steinstücken wurde nicht getauscht. Dafür wurde im August
1972 die Bernhard-Beyer-Straße über Königsweg und Nathanbrücke am Teltowkanal
Kilometer Tek km 03,78 als Verbindung nach Kohlhasenbrück ausgebaut. Das war
auch nicht einfach, zumal in dieser Gegend gleich fünf Brücken über den
Teltowkanal führen: Böckmann-Brücke (Tek km 03,55), S-Bahn-Brücke (Tek km
03,56), Bahnbrücke (Tek km 03,64), Nathanbrücke (Tek km 03,78) und jene
umstrittene Bahnbrücke (Tek km 03,95) von Stammbahn und S-Bahn Zehlendorf-Düppel-Griebnitzsee.
Da die DDR daran nicht rütteln wollte, kam diese mit ihrem Luftraum zu
West-Berlin, Luft und Boden darunter blieb bei der DDR. Rechte an Grundstücken,
Gebäuden und baulichen Anlagen wurden durch diese Vereinbarung nicht berührt.
Für die Verbindungsstraße von Steinstücken nach Kohlhasenbrück
wurde ein Flächenbedarf von 2,3 Hektar angesetzt. Die 1200 Meter lange und 100
Meter breite Straße wurde ein ziemlich unheimlicher Korridor, der zu beiden
Seiten von meterhohen Grenzzäunen flankiert war.
Zwanzig Jahre später fährt Gabriele Leech-Anspach mit der
Buslinie 118 von Steinstücken zum Rathaus Zehlendorf und zum Stern-Center nach
Potsdam.
Die MAZ-Serie "100 Jahre Teltowkanal" steht im Internet unter www.MaerkischeAllgemeine.de/teltowkanal.