Märkische Allgemeine Zeitung 19.01.06
Auf
eigener Scholle
Wohnhäuser an der Grenze zu Berlin / Neue Chance
für ein altes Projekt
JÜRGEN
STICH
KLEINMACHNOW Was sind zehn, was sind fünfzehn Jahre, wenn
man in Generationen denkt? Alexander Gérard hat zuallererst die Familie im
Blick und deren Geschichte reicht weit zurück. In Kleinmachnow zum Beispiel
schlug die Hugenottensippe vor mehr als 100 Jahren Wurzeln. Auch vier
Jahrzehnte DDR und Mauerregime konnten sie nicht ausreißen. Nach der Wende nahm
der Hamburger Architekt den Faden wieder auf, um "das Werk der Familie
fortzuführen".
Begonnen hatte alles mit Alexanders Urgroßvater Carl
Gérard. Der Königlich-Preußische Baurat mit Architekturbüro am Kurfürstendamm
erwarb 1895 und in den Folgejahren eine Fläche von rund 50 Hektar westlich des
Zehlendorfer Damms am Machnower Buschgraben. Er war der erste Käufer in dieser
Gegend. Doch anders als die zahlreichen Terraingesellschaften war Gérard an der
schnellen Vermarktung des Landes nicht interessiert. Es sollte die Erben
materiell absichern.
Dieser Weitblick bewährte sich in der Krisenzeit nach dem
Ersten Weltkrieg. Ab 1924 verkaufte die Familie die ersten Bauparzellen, auf
denen Wohnhäuser entstanden. Die Stadt Berlin erwarb ebenfalls ein Stück
Gérardsches Land und legte dort einen kleinen See als Vorfluter für die
Zehlendorfer Straßenentwässerung an. Der zu diesem Zweck angelegte
"Buschgraben" führt in gerader Linie nach Süden zum Teltowkanal. Auf
einem "Fluchtlinienplan" aus dem Jahr 1929 kann man erkennen, wie das
Gebiet zwischen Zehlendorfer Damm, Machnower Busch, Ginsterheide und
Seemannsheimweg einst bebaut werden sollte.
Wirtschaftskrise
und Zweiter Weltkrieg stoppten das Siedlungsprojekt. Mit der Gründung der DDR
und dem Mauerbau wurde das Gelände Grenzland, auf dem nördlichen Teil verlief
bis 1989 der "Todesstreifen". Der Familie Gérard blieb der wehmütige
Blick vom amerikanischen Sektor Berlins hinüber nach Kleinmachnow auf den
enteigneten Besitz. Nach der Wende nahm eine typisch deutsch-deutsche
Geschichte ihren Verlauf: Urenkel Alexander Gérard kehrte als Vertreter einer
20-köpfigen Erbengemeinschaft zurück, zunächst angefeindet und misstrauisch
beäugt, inzwischen vielfältig ins Gemeindeleben integriert, obwohl er seinen
Hauptwohnsitz in Hamburg behielt.
Auf die Restitution der bebauten Flächen verzichteten die
Rückkehrer. Den Grenzstreifen mussten sie dem Staat abkaufen - eine Perversion,
mit der viele Besitzer von "Mauergrundstücken" konfrontiert waren.
Acht Hektar rund um den Buschgrabensee wurden 1997 zu einem
Landschaftsschutzgebiet. Geblieben sind knapp sieben Hektar, die sich als
Bauland eignen würden. Um das Siedlungsprojekt nach einhundert Jahren zum
Abschluss zu bringen, sollte die Straße "Wolfswerder", die
unvermittelt abbricht, bis zur Ludwigsfelder Straße auf Berliner Seite
verlängert werden.
19 Grundeigentümer, deren Bauparzellen in den 1930-er
Jahren ausgemessen worden waren, unterstützten den Gérardschen Plan. Die
Familie selbst wollte den Bau von 35 Einzelhäusern auf Grundstücken von 800 bis
1000 Quadratmeter Fläche ermöglichen. Eine Fußgängerbrücke über das Buschgrabenfließ
war vorgesehen, um Durchgangsverkehr auf der Straße zu verhindern. Die örtliche
Verwaltung begrüßte die "strukturelle Aufwertung des nordöstlichen
Gemeindegebiets".
Alles schien sich bestens zu fügen, bis 1999 Landes- und
Regionalplaner auftraten und einen "Freiraum mit besonderem Schutzanspruch"
und einen "regionalen Grünzug" erkennen wollten. Bitter für die
Familie: An anderen Stellen Kleinmachnows waren die Behörden weniger kleinlich,
ließen sogar den Bau eines riesigen Seniorenzentrums im Buschgraben zu.