Märkische Allgemeine Zeitung 11.01.06

 

Absturz am Machnower See
Tek km 09,50: Nordahl Grieg / "100 Jahre Teltowkanal" (Teil 13)


Ein Stück der Tragfläche des Unglücksflugzeugs hängt heute in der norwegischen Botschaft. Es wurde 2002 in einem Schuppen entdeckt. Foto: Peter Hahn

KONSTANZE WILD
Am 4. Dezember 1943 sendet der Sender "London" einen Nachruf in norwegischer Sprache. Johan Nordahl Grieg, Norwegens bedeutender Gegenwartsautor, ist mit 41 Jahren gestorben. In der Abhörstation Wannsee, Abteilung Sonderdienst Seehaus Interradio, hört die Kleinmachnowerin Antonie Sander die Nachricht und kann sie übersetzen. Eine schicksalhafte Begebenheit, die am Teltowkanal Kilometer Tek km 09,50 begann und 60 Jahre später noch Menschen beschäftigte.

Grieg war Schriftsteller, ein prominenter Lyriker und Bühnenautor, der in seinen Werken die Frage aufwarf, ob sich das Gute mittels brutaler Gewalt durchsetzen ließe oder ob es letztlich zum Untergang verurteilt sei. Grieg war auch ein kritischer Journalist. Als sein Heimatland Norwegen 1940 von Deutschland besetzt wurde, stellte sich der überzeugte Kommunist, der 1932 bis 1934 in Moskau gelebt hatte, auf die Seite von Regierung und König. Von England aus kämpfte er in britischer Uniform gegen Hitler-Deutschland. Mittels Rundfunkreportagen zog er gegen den Faschismus zu Felde. Erfahrungen als Korrespondent hatte er 1927 in China und 1937 in Spanien gesammelt.

Am Nachmittag des 2. Dezember 1943 bestieg Nordahl Grieg als achtes Besatzungsmitglied, sozusagen in besonderer Mission, einen britischen Bomber - Flugziel Berlin. Über 400 Bomber der Royal Air Force kamen zum Einsatz. Gegen Abend flog Kapitän A. R. Mitchell die Maschine in etwa 400 Meter Höhe über den Teltowkanal. Von der Flugabwehr getroffen, hatte der Bomber Feuer gefangen. Das Flugzeug explodierte in der Luft und stürzte unterhalb der Hakeburg ab. In der Lancaster III starben mit dem norwegischen Dichter vier Briten und drei Australier. "Mein Großvater kam gegen Morgen mit rußgeschwärzten Klamotten nach Hause." Günter Käbelmann erinnert sich genau, wie er als Siebenjähriger die Schilderungen des Feuerwehrmanns belauschte. Von verbrannten Leichen war die Rede und einem zerborstenen Flugzeug. "Da kam keiner mehr ran." Das hatte auch die SS festgestellt, die auf dem Seeberg den Werkschutz auf dem Reichspostgelände übernommen hatte.

1979 barg man eine Tragfläche aus dem Teltowkanal. Kinder hatten jahrelang auf ihr im Wasser herumgeturnt. Sie endete in der Schrottpresse. Der Motor der Lancaster lagert wohl noch heute im Schlick am Grunde des Machnower Sees. Jener Teil der linken Tragfläche jedoch, welcher am Südufer am Forsthaus niederging, sollte die Geschichte um das Schicksal des norwegischen Autors nach fast 60 Jahren weitererzählen und zu einem würdigen Ende bringen.

Heimatforscher Käbelmann trug Fakten zusammen, stellte Fragen, recherchierte in Archiven, auf Friedhöfen, beim Wasserstraßenamt. Im April 2002 kommt es zu einem Treffen mit Angehörigen der norwegischen Botschaft, die das Schicksal Griegs aufklären möchten. Ein Jahr zuvor war man im Garten des Forsthauses fündig geworden. Fritz-Joachim Behrendt, Sohn des Forsthausbesitzers Fritz Behrendt, hatte sich erinnert, dass er mit seinem Großvater ein Flugzeugteil das Kanalufer hinauf zum Forsthaus geschleppt hatte.

Tatsächlich war das etwa 2 mal 1,80 Meter große genietete Aluminiumteil aus der Tragfläche im Januar 1944 auf einem kleinen Stallschuppen gelandet. Ein paar Schafe fanden dort Unterschlupf. Am 30. Mai 2002 trifft man sich erneut im Forsthaus. Fritz Behrendt schenkt den Norwegern das Bruchstück des Bomberflügels zum Gedenken an Nordahl Grieg - er selbst, so stellt sich heraus, war von 1940 bis 1945 bei der deutschen Kriegsmarine im besetzten Norwegen. Seit dem 4. September 2002 hängt das Überbleibsel nun in der norwegischen Botschaft in der Rauchstraße 1 in Berlin. Bevor man auf norwegischer Seite gezielt nach möglichen Überresten des Flugzeugs forschte, hatten die Behörden erst das Grab des Schriftstellers gesucht.

Sie hatten keinen Erfolg. "Die werden mich nie lebendig kriegen", so hatte sich Grieg laut einem Interview seiner Frau vor dem Abflug geäußert. Er trug keine Erkennungsmarke. Man fand stattdessen einen Anhänger, vielleicht war es ein Talisman, mit der Aufschrift "Nordahl G.".

Die Leichen aller acht bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Flugzeuginsassen waren nach der Obduktion durch die Wehrmacht in Dallgow auf dem dortigen Militärfriedhof beigesetzt worden. Dort vermutete man ursprünglich auch den Absturzort. In den Jahren 1945 bis 1947 brachten die Westalliierten ihre Kriegstoten allerdings auf Sammelfriedhöfe.

Für die Besatzung der Lancaster III bedeutete dies Spandau. Der achte Insasse aber, Nordahl Grieg, ist als Norweger vermutlich in Dallgow geblieben. 1952 löste die Rote Armee den Soldatenfriedhof auf. Zurück blieb ein zerfurchtes Manövergelände.

In Kleinmachnow steht ein Gedenkstein an der Absturzstelle. Auf Bitten der norwegischen Botschaft spendete die Gemeinde einen Findling. Petter Ölberg enthüllte ihn als Gesandter der Botschaft am 29. November 2003. Bereits am Tag zuvor waren über 150 Menschen, darunter viele Norweger, zum feierlichen "Stockfischessen" an die Gedenkstätte am Teltowkanal gepilgert. Der schlichte Naturstein, der in einer Inschrift in deutscher und norwegischer Sprache an Nordahl Grieg erinnert, steht südwestlich der Hakeburg, unweit vom Eiskeller, am Ufer des Machnower Sees. Den alten Holzschuppen auf dem Forsthausgelände gibt es nicht mehr. Er wurde 2004 abgerissen.