Märkische Allgemeine Zeitung 31.12.05

 

Trauben reifen am Ufer
Tek km 23,80: Antennenberg / "100 Jahre Teltowkanal" (Teil 10)

PETER HAHN

Für Manfred Lindicke und seinen "Werderaner Wachtelberg" brechen schwere Zeiten an. Zum "Kreuz-Neroberger" vom Viktoriapark in Kreuzberg und der "Wilmersdorfer Rheingauperle" von den Tribünenhängen des Stadions Wilmersdorf kommt nun noch der "Tempelhofer Antennenberg" vom Teltowkanal als Konkurrenz hinzu.

Es wurde aber auch Zeit, schließlich gab es bereits im Mittelalter Wein aus Berlin, der gar nicht so übel sein konnte, da er in den historischen Beschreibungen nicht eigens herausgehoben wird. Ganz im Gegensatz zur herben Kritik an den märkischen Produkten: "Vinum de Marchica terra transit guttur tanquam serra", was heißt: Märkischer Erde Weinerträge gehen durch die Kehle wie eine Säge.

Inzwischen sind beim Senat 1500 Berliner Rebstöcke registriert. 400 davon stehen zwischen Colditz- und Stubenrauchbrücke am Teltowkanal Kilometer Tek km 23,80. In der Nähe des Tempelhofer Hafens und unmittelbar vor dem Wenckebach-Klinikum tut sich ein Böschungshang in bester Südlage auf. Ein Weinberg mit prächtigen Reben, auf dessen Höhe sogar eine hölzerne Weinlaube thront.

Das Grundstück war - wie immer noch einige an der lange vergessenen Kanalstrecke - verkommen. 1997 war das dann auch den Eigentümern zu viel. Sie boten die 1200 Quadratmeter zur gärtnerischen Nutzung an. Schließlich fand sich einer, der dort gerodet und dabei auf die Idee kam, einen Weinberg anzulegen. Die Voraussetzungen waren gut, Südseite, 40 Grad Hangneigung, geeigneter Boden, windgeschützt und relativ frostsicher. Was nützt dem Bürger aber die beste Absicht für eine sinnvolle "Verschönerung", wenn für die Anlage von den Beamten der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Gemeinschaft mindestens eine "Ausnahmegenehmigung als Versuchsanlage" erteilt werden muss?

Nach dem "Weinrecht" (was heute nicht alles blockiert wird!) darf Wein nur auf genehmigten Flächen und in zugelassenen Weingebieten angebaut werden. Da das Land Berlin dazu nicht gehört, geht alles nur mit einer "Ausnahme", die schließlich auch bedeutet, dass die hier gereiften und anschließend zu Wein verarbeiteten Reben nicht verkehrsfähig und damit auch nicht vermarktungsfähig sind.

Zwei Jahre nach der Rodung konnten im Frühjahr 1999 die ersten Reben in die für Weinberge typische Drahtanlage gepflanzt werden. Inzwischen sind es 400 Stöcke, Riesling, Müller-Thurgau und roter Dornfelder. Im Herbst 2001 sollen sich die ersten Trauben mit erstaunlichen Mostgewichten von um die 90 Grad Öchsle gezeigt haben. Die wurden allerdings gegessen, da sich die geringe Erntemenge für das Keltern nicht gelohnt hätte.

Nach dem Motto, was lange währt, wird endlich gut, sollen am 16. September 2002 Müller-Thurgau mit 88 Grad Oechsle und Riesling am 30. September mit 85 Grad gelesen worden sein. Die Lese des Dornfelder wurde wegen der Nichtigkeit auf das kommende Jahr "vertagt". Von nun an gings bergauf. Inzwischen bringt der Weinberg am Teltowkanal jährlich 120 Liter Weißwein und 35 Liter Rotwein.

Im allgemeinen darf man fragen: Wer reist nach Mittenwalde? Niemand. Das dachte auch Fontane, und war dann ziemlich erstaunt, was sich dort alles auftut. Die Immediatstadt Mittenwalde, das vorweg, gehörte im Mittelalter zu den fünf wichtigsten Städten im Teltow.

Paul Gerhardt, der bedeutende evangelische Kirchenlieddichter, wirkte an der St. Moritz Kirche, vor allem aber Generalfeldmarschall Johann David Ludwig Yorck Graf von Wartenburg, Held der Befreiungskriege gegen Napoleon Bonaparte.

Sein Quartier, zu Fontanes Zeiten "ein Gasthaus in der Hauptstraße", dass "wie billig - den Namen 'Hotel Yorck' führt", ist nun ein Weinhaus, in dessen Gewölben aus Tempelhofer Trauben Wein wird. Müller-Thurgau und Riesling im Stahltank, der Dornfelder nach dem Keltern im Eichenholzfass. Ob der Riesling nun wirklich den erforderlichen hohen Säuregehalt aufweist, frisch, stahlig, rassig und mineralisch ist, der Müller-Thurgau unkompliziert, zugänglich und harmonisch, und beim Dornfelder neben dem schwarzroten Äußeren auch das Aroma der heimischen Früchte auszumachen ist, entzieht sich bisher der Kenntnis.

"Mittenwalde besucht niemand", notierte Fontane, "und doch war es in seinem Propsteigarten, dass ein anderes, größeres Lied an die Freude gedichtet wurde, das große deutsche Tröstelied: Befiehl du deine Wege."

Die MAZ-Serie "100 Jahre Teltowkanal" steht im Internet unter www.MaerkischeAllgemeine.de/teltowkanal

(Potsdam-Mittelmark)