Märkische Allgemeine Zeitung 24.12.05
Vielen
Dank, Sarotti-Mohr
Tek km 24,90: Sarotti / "100 Jahre
Teltowkanal" (Teil 8)
PETER
HAHN
After Eight, Yes Tortys, Sieben-Länder-Spezialitäten und
Choclait Chips, "kaum sind die da, schon sind sie weg", kamen aus
Tempelhof. Einige Zeit davor kamen von dort sechs Jahrzehnte lang
Tafelschokolade, Pralinen, Trüffel, Nougat und Marzipan. Seit Januar 2004 kommt
von dort gar nichts mehr, weil der Lebensmittelkonzern Nestlé das erworbene
Schokoladenwerk am Teltowkanal Kilometer Tek km 24,90 geschlossen hat.
Offiziell hieß es, dass "die Absätze kontinuierlich gesunken seien",
inoffiziell, dass "nicht in neue Produkte investiert wurde", und für
den Kaffeeklatsch ist es der Wegfall der Berlin-Förderung.
1911 wurde in der Nähe des Tempelhofer Hafens ein
moderner Industriebau errichtet. Einige Jahre später avancierte das Werk zum
größten Schokoladenhersteller der Welt, zum allerbesten sicher nicht, weil das
verlässliche "Appetit-Lexikon" von Robert Habs und Leopold Rosner nur
die Firmen "Mennier" in Paris, "Suchard" in Neuchâtel,
"Gaedke" in Hamburg, "Stollwerck" in Köln und "Robert
Berger" in Pößneck zu den "geschmacklich" bedeutendsten zählte.
Die aber kreierten Luxus, um den es in Berlin schon lange nicht mehr geht.
Schokolade, um dies eindeutig zu klären, kommt in
verschiedener Güte vor, ohne dass man ihr von außen anzusehen vermag, wes
Geistes Kind sie ist. Die guten Sorten riechen, auch wenn die Tafel alt ist,
angenehm würzhaft, niemals ranzig, schmecken rein und mild, nicht rauh oder
trocken. Die französischen und schweizerischen Sorten sind in der Regel etwas
süßer als die österreichischen und deutschen. Heinrich Ludwig Neumann verkaufte
deshalb ab 16. September 1852 in seiner luxuriösen
"Confiseur-Waaren-Handlung Felix und Sarotti" in der Friedrichstraße
feinste Confisérie aus Paris.
Ein
schwäbischer Confiseur, der seit 1868 in seinem "Chocoladenhaus Hugo
Hoffmann" feine Pralinen, Fondants und Fruchtpasteten aus eigener
Herstellung feilbot, erwarb 1881 den Neumannschen Handel.
Von nun an gab es in der Mohrenstraße Süßigkeiten unter dem
Namen "Sarotti". Zwei Jahre später nahm er den Kaufmann Paul Tiede
als Teilhaber auf. Sie gründeten offene Handelsgesellschaften und firmierten
für die Produktion als "Hoffmann & Tiede" und für den Handel als
"Felix und Sarotti".
Die florierende Schokoladenfabrik expandierte, bezog
größere Räume in der Belle-Alliance-Straße (Mehringdamm), kaufte Grundstücke
der Essigfabrik Kühne dazu und schaffte 1903 die "Sarotti Chocoladen- und
Cacao-Aktiengesellschaft" mit über tausend Mitarbeitern.
Als auch die Kreuzberger Flächen nicht mehr ausreichten,
begannen die Eigentümer mit dem Bau einer neuen Produktionsstätte auf 47 500
Quadratmetern in der Tempelhofer Teilestraße - direkt am Teltowkanal und mit
Anschluss an die Rixdorf-Mittenwalder-Eisenbahn. Die Eröffnung ihrer
"Sarotti AG" im ersten Halbjahr 1913 erlebten sie nicht mehr.
Max Hoffmann, der Sohn des Firmengründers, führte das
Unternehmen weiter. Vor dem fünfzigjährigen Jubiläum des Unternehmens
engagierte er den Grafiker Julius Gipkens, der mit seinem Werbeplakat für das
Hamburger "St. Pauli-Actien-Bier" seit 1913 Furore machte.
Wahrscheinlich kam Gipkens auf die Idee, an die erste Fabrikationsstätte in der
Mohrenstraße zu erinnern. Jedenfalls wurde am 2. November 1922 eine der bis
heute bekanntesten deutschen Marken als neues Zeichen der "Sarotti
AG" in das Schutzregister eingetragen: der Sarotti-Mohr.
Dieser
erste Mohr kam gleich zu dritt, trug Turban und Tablett, und erinnerte als
herrschaftlicher Diener und exotischer Genussbringer sehr an die mit der
Weimarer Republik untergegangene Kolonialzeit des deutschen Reiches.
Reklameschilder aus Emaille und Figuren aus Porzellan flankierten das Geschäft
- bis heute gefragte Souvenirs.
Am 20. Januar 1922 zerstörte ein Großbrand das
Tempelhofer Werk. Anton Kanold, selbst Schokoladenfabrikant und Großaktionär
der Sarotti-Aktiengesellschaft stellte sein Schöneberger Werk als
Ausweichquartier zur Verfügung. Er löste Max Hoffmann im Vorstand ab und
organisierte den Wiederaufbau des Produktionsbetriebes.
Die Weltwirtschaftskrise führte schließlich dazu, dass
die Schweizer Nestlé AG 1929 die Aktienmehrheit an der Sarotti AG übernahm. Im
Gegenzug erhielt die Firma das Recht zur Lizenzfertigung der Schweizer
Schokoladen "Cailler", "Gala Peter", "Kohler" und
"Nestlé".
In den Wirtschaftswunderjahren wurde Sarotti ungeheuer
populär: "Vielen Dank, singt man im Chor, vielen Dank, Sarotti-Mohr."
Nach der deutschen Wiedervereinigung gab Nestlé - nun mit "Good Food, Good
Life" weltweit ausgerichtet - am 1. Januar 1998 "Sarotti" an die
Kölner "Stollwerck AG" ab. 2002 gehörte Stollwerk dem Schweizer
Konzern "Barry Callebaut".
Noch ist der Mohr von Sarotti in den Regalen, nicht mehr
schwarz und servierend, sondern auf einer Mondsichel und mit Sternen
jonglierend. Das Schokoladenwerk von Sarotti und Nestlé am Teltowkanal schloss
2004 seine Pforten. Übriggeblieben sind denkmalgeschützte Industriebauten und
fünfhundert Leute ohne Arbeit. Choclait Chips sind auch nicht mehr, das aber
war eigentlich klar: "Kaum sind die da, schon sind sie weg!"
Die MAZ-Serie "100 Jahre Teltowkanal" steht im
Internet unter www.MaerkischeAllgemeine.de/teltowkanal.