Märkische Allgemeine Zeitung 17.12.05
Was vom
Teltower See blieb
Tek km 13,50: Zehlendorfer Stichkanal / "100
Jahre Teltowkanal" (Teil 6)
PETER
HAHN
D er Zehlendorfer Stichkanal wird in den Akten des
Bezirksamtes Steglitz-Zehlendorf von Berlin als "Gewässer-Nr. 191"
geführt. Zuständig ist das örtliche Naturschutz- und Grünflächenamt. Eigentümer
des Areals ist das Land Berlin. Für die 52 300 Quadratmeter wird als IST
"Wasserstraßennutzung aufgegeben" und als SOLL "Entwicklung zu
einem naturnahen Landschaftsraum" vermerkt. Dementsprechend hat das
Wasser- und Schiffahrtsamt Berlin am Teltowkanal Kilometer Tek km 13,50 die
Einfahrt mit einem Wasserzeichen verboten.
An dieser Stelle sei daran erinnert, dass sich Bau und
Verlauf des Teltowkanals an den durch die Bäke geprägten Oberflächenformen
orientierte. Auf ihrem Weg von der Quelle am Steglitzer Fichtenberg versorgte
sie den Teltower See und den Schönower See mit Wasser. Infolge der
Grundwassersenkung verschwanden beide. Nach der Trockenlegung der Sumpfgebiete
blieb vom Teltower See der geschwungene Verlauf des Zehlendorfer Stichkanals -
und neues Bauland.
Der Bankier Carl Neuburger hatte den künftigen Nutzen erkannt
und sich Gewerbegrundstücke am Kanal gesichert. Bereits am 2. August 1904 hatte
er die Zehlendorfer Eisenbahn- und Hafen A.G. (Zeuhag) gegründet. Danach wurde
gebaut. Am 22. Oktober 1905 nahm die Privatbahn den Betrieb zwischen dem
Stadtbahnanschluss Lichterfelde West und dem Industriegelände auf - zuerst
wurden die Waggons von Pferden gezogen, später von Lokomotiven.
Entscheidend für die Entwicklung in dieser Gegend wurde
die Ansiedlung der Firma "Optische Anstalt C.P. Goerz" während des
Ersten Weltkriegs. Der in Rathenow ausgebildete Optiker Goerz hatte 1886 in der
Berliner Zimmerstraße ein Einzelhandels- und Versandgeschäft eröffnet. Schon
1890 produzierte er mit der "Goerz-Anschütz-Moment-Camera" die erste
Schlitzverschlusskamera der Welt. Wenig später bezog die inzwischen zur
Aktiengesellschaft umgewandelte Firma größere Gebäude in der Friedenauer
Rheinstraße. Als auch diese nicht mehr ausreichten entstand 1918 am Hafen des
Zehlendorfer Stichkanals (ZSK) das "Goerzwerk" in Lichterfelde nebst
einer Werk-siedlung für die Angestellten. Da Goerz fast gleichzeitig alle
Aktien der Zehlendorfer Eisenbahn- und Hafen AG übernommen hatte, konnte wenig
später der Personenverkehr auf der sogenannten Goerzbahn eingeführt werden.
1926 erwarb die Zeiss-Ikon AG 53 Prozent der bisherigen "Optischen Anstalt
C.P. Goerz AG". Produziert wurden nun Kameras und
Beleuchtungseinrichtungen für Kinoprojektoren. Noch heute liegt das
Betriebsgelände an der Goerzallee.
In unmittelbarer Nähe, gegenüber dem Parkfriedhof Lichterfelde, sind nach
Plänen des Architekten Hans Hertlein 1939/41 die Telefunken-Werke entstanden.
Nach dem 1945 die Produktion von Elektroröhren eingestellt worden war,
avancierte das ausgedehnte Werksgelände zum größten Areal mit Kasernen,
Werkstätten und Stellplätzen der Amerikaner in Berlin - die Mc Nair Barracks,
benannt nach Generalleutnant Lesley J. Mc Nair, der 1944 bei einem geheimen
Einsatz in der Normandie fiel. Die Gebäude wurden von der US-Army zuerst als
Hauptquartier genutzt und 1949 zu Truppenunterkünften für das 6.
US-Infanterie-Regiment umgebaut. Zeitweise waren hier bis zu 2300 Soldaten
stationiert, drumherum wie in einer Kleinstadt Kirche, Fitnesscenter, Commissary,
Post Exchange, Waschsalon und für die Paraden, 400 x 70 Meter groß, der
"Platz des 4. Juli". Die Goerzbahn erlebte einen Aufschwung.
Nach dem Abzug der US-Army aus Berlin und der Auflösung des "Guard Battailon",
bei dem die zivilen Angestellten der alliierten Streitkräfte beschäftigt waren,
Reinigungspersonal, Wachschutz, Instandhaltung, haben die nun
"Ehemaligen" aus Enttäuschung über die offizielle Politik 1993 einen
Verein installiert, der ihnen bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz
behilflich sein sollte. Inzwischen ist daraus eine Begegnungsstätte und das
"Mc Nair Barracks Museum" geworden. Darüber hinaus erfährt das
denkmalgeschützte Areal der ehemaligen Telefunken-Werke in der Goerzallee
190-234 derzeit eine hoffentlich angemessene Nutzungsmischung. Die in
Stahlbeton-Bauweise errichteten Gebäude bieten immerhin eine
Gesamtbruttogeschossfläche von mehr als 100 000 Quadratmetern.
Nachzutragen ist, dass der Hafen nach 1945 stufenweise seine Bedeutung verlor:
Berliner Blockade, Mauer und die Abwanderung der Firmen nach Westdeutschland
hatten ihre Wirkung. Geblieben ist die Zehlendorfer Eisenbahn als reine
Industriebahn zur Belieferung der Anlieger und das "Biotop Zehlendorfer
Stichkanal". Dabei ist es bei weitem nicht so, dass an der Goerzallee
nichts "los" ist. Industrie ist da, Baumarkt, Möbeldiscounter,
Handwerkerhof. Die aber haben ihre Transporte längst vom Wasser auf die Straße
verlegt.