Märkische Allgemeine Zeitung 03.12.05


Der Kreis Teltow grenzte an den Kreuzberg
Tek km 00,00 - Tek 37,83 / Der Landräte köstlicher Ruhm / "100 Jahre Teltowkanal" (Teil 2)

JÜRGEN STICH

Für Ernst von Stubenrauch war es unter allen Titeln und Ehren seines Lebens "der köstliche Ruhm, der bleiben wird, dass ich von mir sagen, rufen und rühmen darf: 'Ich war Landrat des Kreises Teltow'". Nicht anders haben wohl sein Vorgänger im Landratsamt, Prinz Nicolaus Handjery, und sein Nachfolger Adolf von Achenbach ihre Aufgabe empfunden.

Die drei Landräte prägten die Geschichte des Kreises Teltow von 1870 bis 1931, in einer Periode also, die mit der Gründung des Deutschen Reiches begann, den rasanten Aufstieg Berlins zur Weltstadt, den Ersten Weltkrieg und die Revolution hervorbrachte, die Weimarer Republik umfasste und noch den düsteren Ausblick auf den kommenden Nazi-Staat bot.

Der alte Landkreis Teltow, dem Handjery, Stubenrauch und Achenbach vorstanden, existiert längst nicht mehr. Seinen Namen übernahm er von der eiszeitlichen Grundmoränenlandschaft, die sich zwischen den Flüssen Spree, Havel, Dahme und Nuthe herausgebildet hatte und für die sich die slawische Bezeichnung "Teltow" einbürgerte. Die Grenzen des Kreises Teltow, der als eigenständige Verwaltungseinheit im Jahr 1835 ins Licht der Geschichte rückte, stimmten mit denen der Landschaft "Teltow" größtenteils überein. Im Süden reichte der Kreis über die Städte Trebbin, Zossen, Mittenwalde und Teupitz hinaus, im Norden stieß das Gebiet an den untersten Lauf der Spree bei Spandau und weiter östlich an die Städte Charlottenburg und Berlin, in letzter Beziehung also bis an den Kreuzberg.

Zum landrätlichen Bereich gehörten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts der ganze Grunewald, die Gemeinden Wilmersdorf, Schöneberg, Tempelhof und Rixdorf - das spätere Neukölln. Auch die Stadt Köpenick zählte zum Kreisverband und südlich davon all jene Orte, die später nach Berlin eingemeindet wurden.

Im Westen schließlich verwalteten die Teltower Landräte die nahe Potsdam gelegenen Gemeinden Neuendorf und Nowawes, die sich 1907 vereinigten, 1924 Stadtrecht erhielten und als "Babelsberg" 1939 von Potsdam einverleibt wurden.

Man hat den Landkreis Teltow den "bedeutendsten" des alten Preußen genannt. Seine Ausnahmestellung verdankte er dem benachbarten Berlin. Die ursprünglich zum Kreis gehörenden südlichen Vororte Berlins mutierten mehr und mehr zu Großstädten und wuchsen buchstäblich aus dem Kreis heraus. Schließlich zog sich die nördliche Kreisgrenze quer durch das Häusermeer der Metropole, eine "urbane Absurdität", wie es der Historiker Gerd Heinrich einmal formulierte.

Dabei hatten die Landräte die Gunst der Stunde durchaus zu nutzen gewusst. Als sich die Dynamik der Reichshauptstadt abzeichnete, verlegten sie das Landratsamt aus dem beschaulichen Städtchen Teltow 1871 nach Berlin. Für 1,5 Millionen Reichsmark ließ Ernst von Stubenrauch 1891 ein repräsentatives Verwaltungsgebäude auf den Grundstücken Viktoriastraße 17a und 18 am Potsdamer Bahnhof errichten. Architekt war Franz von Schwechten, der den Bau im Stil der italienischen Renaissance ausführte.

Einige Zahlen belegen, warum die Teltower Landräte mit breiter Brust auftreten konnten: Die Einwohnerzahl des Kreises wuchs von 163 000 im Jahr 1885 auf rund 530 000 am Vorabend der Weimarer Republik. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich das Steueraufkommen von 180 000 Mark auf knapp vier Millionen Mark. Die Einlagen des Kreises bei der Kreissparkasse schnellten von 4,7 Millionen auf sagenhafte 76,3 Millionen Mark in die Höhe.

Nur so ist es schließlich zu erklären, dass sich der Kreis seine "Großprojekte" leisten konnte. Allein der Bau des Teltowkanals kostete 47 Millionen Mark, doppelt so viel, wie veranschlagt. Bis 1918 ließen die Landräte acht Kreiskrankenhäuser errichten und schufen damit den Grundstock einer funktionierenden öffentlichen Wohlfahrtspflege.

Mit der Übernahme der Straßenbahnen samt Schienennetz im städtisch geprägten Norden für 1,45 Millionen Mark schlug der Kreis Teltow im Jahr 1906 auch in der Verkehrspolitik einen neuen Weg ein. Dass eine Kommunalverwaltung in solcher Weise unternehmerisch tätig wurde, war zu dieser Zeit in Preußen beispiellos, zumal die Elektrifizierung der Straßenbahnen mittels des kreiseigenen Kraftwerks Schönow bewerkstelligt werden konnte.

Obwohl der Kreis seine Finanzkraft aus den Berliner Vororten sog, wurde auch der landwirtschaftlich geprägte Süden mit Investitionen bedacht. Der Chaussee-Ausbau verbesserte die Mobilität, Meliorationen an Nuthe und Notte förderten den Obst- und Gemüsebau. Pferde- und Viehzucht wurden durch Ankauf hochwertiger Rassen gewinnbringend in Schwung gebracht.

Das "innere" Wachstum des Kreises Teltow stellt sich umso beeindruckender dar, wenn man den parallel verlaufenden äußeren Schrumpfungsprozess in den Blick nimmt. Bereits 1877 war das zur Stadt erhobene Charlottenburg aus dem Kreisverband ausgeschieden, 1899 folgten Schöneberg und Rixdorf-Neukölln, acht Jahre später Wilmersdorf. Der Kreis verlor die Hälfte seiner Bevölkerung und mehr als ein Drittel seiner Steuereinnahmen.

Einen weitaus tieferen Einschnitt brachte schließlich das Gesetz zur Bildung Groß-Berlins vom 27. April 1920. Der Landkreis wurde bis auf die Linie Teltow, Groß Ziethen und Schönefeld zurückgestutzt, verlor eine halbe Million Einwohner und 90 Prozent seiner Steuerkraft. Der "Verteidigungskampf des Kreises um seinen Norden", den die Landräte lange mit Erfolg geführt hatten, war verloren. Als der stolze Bau des Landratsamtes in der Berliner Viktoriastraße 1939 abgerissen wurde, um der Speerschen Nord-Süd-Achse der "Welthauptstadt" Platz zu machen, wurde auch das Ende des Kreises Teltow eingeläutet. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben ihm wenige Jahre. Die Kreisverwaltung zog sich 1945 nach Mahlow zurück. Mit der DDR-Verwaltungsreform, die bewusst mit historisch gewachsenen Strukturen brach, ging der alte Kreis Teltow in den neu gebildeten Einheiten Zossen, Königs Wusterhausen und Potsdam-Land auf.

Heute lebt der einst "bedeutendste" Kreis des alten Preußen nur noch im Namen des brandenburgischen Landkreises Teltow-Fläming fort. In der alten Kreisstadt Teltow erinnern das Stubenrauch-Denkmal auf dem Marktplatz und das Landratsamt in der Ritterstraße an die große Zeit.

Das einstige Verwaltungsgebäude ist jedoch seit Jahren eine Brandruine. Mit dem geplanten Abriss droht nun ein weiteres Stück Geschichte des Kreises Teltow für immer verloren zu gehen.

Die MAZ-Serie "100 Jahre Teltowkanal" steht im Internet unter www.MaerkischeAllgemeine.de/teltowkanal.