Märkische Allgemeine Zeitung 09.05.05
Leere
Sitze zur Gedenkstunde
Kleinmachnow erinnerte an das Kriegsende /
Historiker hielt Vortrag
MATTHIAS
ANKE
KLEINMACHNOW "Die Erfahrung des Krieges lastet auf
jedem einzelnen. Jeder leere Sitzplatz hier im Bürgersaal stimmt mich deshalb
mehr als nachdenklich." Regen Beifall gab es für diese Schlussworte des Kleinmachnower
Bürgermeisters Wolfgang Blasig am Ende der Gedenkstunde, die anlässlich des 60.
Jahrestages des Kriegsendes in Europa im Rathaus stattfand.
Blasig applaudierten 40 Zuhörer in einem Saal, der auch
bis zu 200 Personen fassen könnte. Viele Sitzreihen blieben jedoch frei. In der
Mehrzahl kamen Gemeindepolitiker und jene, die sich ohnehin für den Ort
engagieren. Inbegriffen auch das Klarinettentrio der Lehrerschaft der
Kreismusikschule und der Gastredner Manfred Görtemaker.
Der Professor am historischen Institut der Universität
Potsdam erklärte anschaulich das Thema "8. Mai 1945". Bekanntlich
hatte es auch in Kleinmachnow jüngst eine Debatte um die Bewertung dieses
historischen Tages gegeben (MAZ berichtete). Doch die Kontroverse um den Tag,
der vor 15 Jahren in der DDR noch als "Tag der Befreiung" galt und
heute nur als Muttertag im Kalender erscheint, hat größere Dimensionen, wie Görtemaker
ausführte.
Aus Sicht der damaligen Zeitgenossen, in seinen
historischen Wurzeln sogar bis zurück ins Jahr 1815, und aus heutiger
Perspektive zeichnete Görtemaker das Bild des 8. Mai. Ein Mai, in dem die
deutsche Wehrmacht bedingungslos vor den Alliierten kapitulierte - im
französischen Reims sowie vor den Sowjets in Berlin-Karlshorst - und damit
indirekt die Spaltung Europas vorweg nahm. Für die einen war das Kriegsende
befreiend, vor allem für Kommunisten, KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene. Für
andere galt es als Zusammenbruch. "Je nachdem, wo man sich gerade befand,
welche Funktion man inne hatte oder wie man sich die Zukunft vorstellte",
erklärte Görtemaker. Was im Ostteil Deutschlands vorwiegend mit Flucht und
Vertreibung verbunden war, galt im Westteil als Erleichterung. Letzteres Gefühl
hat überwogen, schätzt der Historiker. "Offiziell wurde Deutschland allerdings
nicht befreit, sondern besetzt als Feindstaat."
Der Blick
in die Vorgeschichte hilft weiter. "Die deutsche Katastrophe hat zum 8.
Mai geführt", sagte Görtemaker. Zum einen, weil die Deutschen vor 1933 die
Demokratie der Weimarer Republik nicht unterstützt hatten, zum anderen, weil
sie und die Alliierten Hitler nicht entgegentraten. "Die Deutschen
brauchten den Zweiten Weltkrieg um zu begreifen, dass sie den Ersten verloren
hatten", spitzte Görtemaker zu.
Hitlers Protest gegen den Versailler Vertrag war ein
Ausgangspunkt für seinen Aufstieg. Die "deutsche Katastrophe" habe
aber schon 1871 mit der Reichsgründung begonnen. Die Übermacht in der Mitte
Europas, der wachsende Anspruch der Deutschen gegenüber anderen Völkern waren
Faktoren in dieser langen Vorgeschichte.
Noch Margret Thatcher merkt in ihren Memoiren an, dass
ein wieder vereinigtes Deutschland eine Gefahr in Europa ist. Görtemaker
hingegen sieht im 8. Mai für Deutschland den Tag der zweiten Chance, mit der
eine Demokratie nicht nur anwachsen, sondern auch verinnerlicht werden konnte.
So etwas sei keine Frage von Wahlzetteln.
Aufgrund dieser zunächst "geteilten Chance"
galt der Tag in der DDR als Beginn einer neuen Staatsidee und damit als Bruch
mit der Vergangenheit. "Man kann aus seiner eigenen Geschichte aber nicht
aussteigen", so der Historiker. Glücklicherweise habe die zweigeteilte
Entwicklung eine Basis für die Aussöhnung in alle Richtungen geschaffen.
"Deutschland in Europa zu integrieren und mit seinen Nachbarn zu
versöhnen, ist der eigentliche Auftrag des 8. Mai", steht für Görtemaker
fest.