Märkische Allgemeine Zeitung 11.04.2005

"Schwarzkittel" rücken dem Menschen immer dichter auf die Pelle
Allesfressendes Borstenvieh jüngst vom Gelände der Evangelischen Grundschule Kleinmachnow vertrieben / Einhelliger Appell: "Bloß nicht füttern!"

KONSTANZE WILD

KLEINMACHNOW Aus den feuchten Tiefen des Bäke-Bach-Gebietes sind sie gekommen. Eine Bache mit sechs Frischlingen in Begleitung zweier weiterer Tiere. Eine Rotte nennt das der Waidmann, von einer "Sauenplage" sprechen mittlerweile viele Zeitgenossen, wenn es um das Vordringen der Wildschweine in bewohnte Gebiete im Berliner Raum geht. Die Rotte verirrte sich ausgerechnet in das Siemens-Gelände am Schwarzen Weg, was bei Jungen und Mädchen der dortigen Evangelischen Grundschule Kleinmachnow für helle Aufregung sorgte. Wohl auch bei den Tieren, denn der Nachwuchs verlief sich zwischen den Zäunen. Die Polizei wurde gerufen, dazu ein sachkundiger Jäger. Wirklich gelungen sei die anschließende Vertreibung aber nicht, erzählt Schulleiterin Kirsten Tenhafen, die die an sich friedlichen Tiere weiterhin aus dem Klassenfenster beobachten konnte.

Was im naturnahen Wald zur Bodenverjüngung beiträgt, wird auf Feldern, Parkanlagen und Friedhöfen zum handfesten Problem. Denn längst bevorzugt das ehemals scheue Schwarzwild nicht mehr Eicheln und Bucheckern, Würmer und Engerlinge, sondern Feldfrüchte, Garten- und Essenabfälle. Landwirte klagen über Saat- und Ernteschäden. Gartenliebhaber geraten in Panik oder Verzückung. Je nachdem, ob eine Rotte gerade das Rosenbeet zerstört oder niedliche Frischlinge ihre schnobbernden Rüsselscheiben entgegenstrecken.

Schnell streiten dann Grundstückseigentümer mit "tierlieben" Nachbarn. Denn noch schlimmer als das üppige Nahrungsangebot sei die "gut gemeinte" Fütterung, mahnen Experten. Der einhellige Appell: "Bloß nicht füttern!"

Wie viel Wild aber vertragen Mensch und Stadt? Da gibt es keine Übereinstimmung. Eindeutig ist nur die Gesetzeslage. Wild lebende, herrenlose Tiere unterliegen dem Jagdrecht. In "befriedeten" Gebieten, etwa in Siedlungen, Parks und Friedhöfen, ist die Jagdausübung verboten. Eigentümer müssen ihre Grundstücke dort so sichern, dass das Wild nicht eindringen kann. Ein Anspruch auf Schadensersatz besteht außerhalb von Jagdbezirken nicht. Bei Gefahr im Verzug kommt die Polizei, zur Amtshilfe auch Tierärzte und Förster, erklärt Ekkard Dehne, zuständiger Mitarbeiter im Rathaus Kleinmachnow. Die Untere Jagdbehörde kann auch eine Sondergenehmigung zum Erlegen des Wildes erteilen, wenn der Grundstückseigentümer dies beantragt.

Doch je näher der Mensch, desto seltener fällt ein Schuss - "Sicherheit vor Erfolg", erklärt Hans Diwiszek, sachkundiger Jäger im Pachtgebiet Stahnsdorf/Kleinmachnow. Auch die Telekom/Sireo, Grundeigentümerin des Seeberges Kleinmachnow, habe nach Hinweisen aus der Bevölkerung einen solchen Antrag erwirkt. Zum Schuss kam es freilich nicht. Zwar sichteten die Jäger schwimmende Schweine im Teltow-Kanal, doch die könne man, wenn nötig, auch mit Hunden aus dem Gebiet treiben, so Diwiszek. Die ansässige Waldorfschule hat Erfahrung mit umgepflügten Beeten und Wiesen. Kinder waren aber nie in Gefahr, berichtet Geschäftsführer Harro Volkmar, der schon eigenhändig, laut klatschend "Schwarzkittel" vertrieb.

Dauerhaft lassen sich die "wilden Tiere" wohl kaum in den Wald zurückschicken. Die Gefahr für den Menschen sei aber gering, sagt Carsten Storbeck von der Waldschule Dreilinden. Auch der dortige Revierförster Heinrich Kiso warnt vor Panikmache und möchte aufklären. Beide empfehlen vor allem Ruhe, "den schlecht sehenden Tieren immer Fluchtmöglichkeiten lassen". Man müsse sich eben "arrangieren", so Kiso und darauf achten, das zu tun, was Schwein, Fuchs, Marder und Co. natürlicherweise auch tun - Distanz halten.