Märkische Allgemeine Zeitung 01.03.05

Ja zum Bürgersaal
Eröffnungsaufführung in Kleinmachnow umjubelt / Plädoyer in der Namensdebatte

JÜRGEN STICH

KLEINMACHNOW Endlich prangt nun an einem repräsentativen Gebäude in Kleinmachnow das Wörtchen "Rathaus". Hundert Jahre mussten die Einwohner darauf warten. Heute fragt man sich: Wie sollte sich in all den Jahren Bürgersinn einstellen ohne Zentrum und Mittelpunkt?

Von den Rändern her hatten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts Siedlungen an den alten Dorfkern herangetastet. Illustre Berliner gönnten sich eine Villa oder auch nur ein Bürgerhäuschen im Grünen. Später kamen dort auch Menschen zu einer eigenen Herdstelle, die es aus den Mietskasernen der Reichshauptstadt herausgeschafft hatten.

Als der Feuersturm des Krieges Burg und Herrenhaus im Bäketal zerstörten, von denen aus Jahrhunderte lang das "Gut" Kleinmachnow regiert wurde, war wenig zusammengewachsen. Auf dem Seeberg machten sich die neuen Machthaber breit. Merkwürdig geschichtslos taumelte der Ort in die deutsche Teilung hinein - an den Rand gedrängt und gerade deshalb Zufluchtsort der Kreativen, aber auch so mancher "Gewinnler" der SED-Herrschaft. Die Wende stellte alles auf den Kopf. Die "Bürger gegen Vertreibung" konnten nicht verhindern, dass sich die Einwohnerschaft völlig neu zusammenwürfelte. Ein Kommen und Gehen bis heute.

Was sich unter diesen Umständen als neue Kleinmachnower Gesellschaft formiert hat, versammelte sich am Samstagabend zur Eröffnung des "Bürgersaals im Rathaus": Mitarbeiter der Verwaltung, Abgeordnete, Künstler und viele engagierte Einwohner. Brecht-Weills Schuloper "Der Jasager" und das unmittelbar anschließende Schauspiel "Der Neinsager" gaben dem Abend künstlerisches Format und sollten darüber hinaus den Ort programmatisch einführen.

Selten seien im Text eines Marxisten das ungebrochene Pathos und die Zuversicht der Aufklärung so lebendig geworden wie hier, schrieb Peter Szondi einst über das Stück. Brechts Knabe, der sich am Ende dem rituellen Opfer verweigert und fordert, dass man "in jeder neuen Lage neu nachdenken" solle, setzt auf Vernunft und letztlich auf den die Demokratie prägenden Austausch der Argumente.

Ein passender Theaterabend also, um Rathaus und Saal ins Bewusstsein der Kleinmachnower zu heben. Eindrucksvoll meisterten Chor, Solisten und Orchester den nicht leicht zu bespielenden Raum. Als Auftakt hatte sich der musikalische Leiter Karsten Seibt für das Notturno aus Kurt Weills Konzert für Violine op. 12 entschieden, bevor Bürgermeister Blasig dann vom "Abenteuer" sprach, in heutigen Zeiten einen "Bürgersaal" zu kreieren. "Jetzt muss er sich bewähren." Das tat er auch dank der Bühnenbauer und Beleuchter Martin Gürtler und Michael Apelt, die vor dem schwarzen Hintergrund der Bühne Raum für das Geschehen schufen. Der Chor, von Kopf bis Fuß in schwarze Hüllen gekleidet, trug auf langen Stäben aufgespießte weiße Masken vor sich her. Auch um Unfreiheit und Freiheit geht es im Stück.

Die vielumjubelte Aufführung unter der Regie von Antonia Braun und Bernhard Hanuschik und den souveränen Solisten Enrico Wenzel (Lehrer), Claudia Deglau (Mutter) und Caroline Seibt (Knabe) unterstrich die These des Kleinmachnower Schriftstellers Martin Ahrends, dass der Bürgersaal seiner "Bauart und Zweckbestimmung nach für all das bestimmt und geeignet ist, was Kurt Weill in den Zwanzigern auf deutsche Bühnen gezaubert hat".

Ahrends und viele Künstlerkollegen plädieren dafür, den Veranstaltungsraum im Rathaus nach Kurt Weill zu benennen, der ein knappes Jahr mit Frau Lotte Lenya in Kleinmachnow wohnte. Weill, so argumentiert Ahrends, hätte sich in dem Künstlervorort dauerhaft niederlassen wollen, wenn ihn nicht "ein ungewollter Lebensbruch" - Machtübernahme der Nazis und folgendes Exil - daran gehindert hätten. Für die zögerliche Haltung der Gemeindevertreter in der Namensdebatte haben die Künstler kein Verständnis. Was auch sollte gegen einen "Kurt-Weill-Saal" sprechen?

Bei genauem Hinsehen - Einiges! Da ist zum einen die Nutzung des Saals. Aufführungen wie jene am vergangenen Samstag werden die Ausnahme sein, Sitzungen der Gemeindevertreter und ihrer Ausschüsse die Regel.

Zum anderen drängt sich - bei allem Respekt - der Verdacht auf, dass sich die Kreativen Kleinmachnows mit der prominenten Namensgebung selbst einen Gefallen tun wollen: "Seht her, in was für einem besonderen Ort wir leben."

Doch von welchem Ort ist die Rede? Die Gemeinde hat sich nach all den Umbrüchen noch nicht gefunden. Das Zusammenwachsen bleibt schwierig. Mit Rathaus und Saal ist jetzt erst ein Forum geschaffen worden, auf dem sich Bürgersinn entfalten kann. Erst wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, macht es Sinn, sich auf eine gemeinsame Geschichte zu berufen. Bis dahin kann das Kleinmachnower Rathaus einen schlichten "Bürgersaal" gut vertragen.